Vom Aussatz und vom Baden in den Fluten von Zehntausenden | Predigt über 2 Kön 5 und übers Lautwerden gegen Nazis in unserm Land

2 Könige 5, Verse 1-5 & 19a
(hier lang zum Bibeltext).

Da ist dieser Mann.
Er kommt zum König.
Sagt, er wäre aussätzig.
Er wüsste nicht weiter,
Doch er habe gehört, der König könne ihm da helfen.
Der König staunt. Wie soll er helfen.
Gegen Aussatz ist kein Kraut gewachsen.
Zumindest keines, von dem er wüsste.
Und so ist er ratlos.
Wittert in der Anfrage gar eine Falle.
Irgendein Komplott, das ihn aus der Reserve locken soll,
Damit er seine Ohnmacht eingestehen muss.
Gegenüber diesem Fremden.
Und dann kommt der Prophet.
Und sagt: Es ist ein Kraut gewachsen.
Also im übertragenen Sinne.
Sagt: Man kann was machen gegen diese Krankheit.
Aber: Du musst es selber tun.
Geh. Wasch dich in dem und dem Gewässer.
Und dann wird der Aussatz wie von selbst verschwinden.
Der Mann ist tief enttäuscht.
Er, der mit Königen reden kann, 
hat sich mehr erhofft als das.
Eine Chefarztbehandlung durch den Propheten selbst.
Irgendwas, was seinem Stande angemessen erscheint.
Mit Puff und Peng und dann ist alles wieder gut.
Irgendwie so.
Am Ende aber fügt er sich.
Er geht hin und badet sich in dem und dem Gewässer.
Und wird rein.
Und merkt: Da hatte wohl Gott seine Hand im Spiel.
Denn sein Aussatz, der ist weg.
Und vielleicht ja auch sein Dünkel.
Weil er gemerkt hat: Gott hilft, wenn wir selbst krempelnd unsere Ärmel hochschieben.
Und anfangen.
Aussatz, das war keine eindeutige Diagnose.
Unter Aussatz, da versammelte man alles, was die Haut zum Kratzen brachte.
Alles, was irgendwie entstellte und dazu ansteckend war.

Was, wenn der Aussatz unserer Zeit Rassismus hieße?
Der entstellt. Und kratzt. Und unansehnlich ist.
Hochansteckend und brandgefährlich.
Der die Menschen isoliert.
Dann würden unter dem Namen Aussatz nicht mehr allerlei verschiedene Hautkrankheiten subsummiert,
Sondern all die subtilen Ängste, die die Menschen dazu führen, sündenbockig zu werden,
also andern die Schuld in die Schuhe zu schieben.
Für ihre eigene Überforderung mit dem Heute,
Mit dem Hier und Jetzt.
Wenn der Aussatz unserer Zeit Rassismus hieße, 
dann würden sich unter diesem Namen all die Minderwertigkeitskomplexe und
Abgehängtheitsgefühle sammeln lassen, die die Menschen dazu bringen, aus Überforderung, aus
Alltagsverzweiflung heraus die afd zu wählen.
Wenn der Aussatz unserer Zeit Rassismus hieße, 
dann würde das bedeuten, dass ganz viele verschiedene Ursachen mit hineinspielen und Menschen zu Sündenböcken werden, die doch eigentlich mit der Situation gar nichts zu tun haben.
Oder kommt die Digitalisierung, mit der so viele nicht klarkommen, aus Syrien?
Kommt das deutsche Gendern vielleicht aus der Ukraine?
Oder sind es die Menschen, die auf der Flucht vor Krieg und um ihr Leben fürchtend hierherkommen, die dafür sorgen, dass auf einmal sich das Klima wandelt und Autofahren nicht mehr Ausdruck von Freiheit sondern von sozialem Amokfahren ist?
Natürlich nicht. 
Und doch ist der Rassismus, der uns in afd und Werteunion, in Identitären und leider auch in den ganz normlen Nachbar:innen begegnet, in Onkels und Arbeitskolleginnen und sogar bei der Polizei, gespeist aus einer Mischung all dieser Gefühle.
Und wie der Beamte sich zunächst an den König wandte, 
so wenden sich die vom Rassismus völlig Überraschten Bürger nun schulterzuckend an „die da oben“ und hoffen, dass König Olaf und Prinz Habeck oder auch der Oberhaushaltsmeister Lindner eine Antwort liefern. 
Und wie der König in unserer Geschichte erblassen sie ein wenig ratlos und wissen nicht, wie sie jetzt dieser Krise Herren werden sollen – zurecht, denn eigentlich sind sie ja auch nicht zuständig. Zumindest nicht allein und nicht mehr und nicht weniger als alle hier. 
In unserer Geschichte ist es der Prophet, der dem König leise auf die Schulter klopft als wolle er sagen: Rück mal rüber, hier übernehm jetzt ich. Weil der Prophet nämlich ziemlich genau weiß, was ein König kann – und was selbst er zu ändern nicht vermag. Und wie der Prophet dem König zeigt, dass dieser nicht am Zuge ist, spricht er auch zu uns. Und sagt mir, und sagt Ihnen, sagt uns allen: Hier seid ihr selbst zuständig.
Natürlich sagt er nicht: Wascht euch in dem und dem Gewässer, dann wird der Rassismus schon verschwinden. Und doch sagt er: Kümmert euch selbst. 
Was für eine Enttäuschung. So war das auch beim Mann im Text. Er hatte zack, bumm, peng auf ein Wunder gehofft. Ein Machtwort, irgendwas, was seinen Aussatz von jetzt auf gleich mit etwas Show und angemessenem Tamtam verschwinden lässt. So auch wir, die hoffe, „die da oben“ werden das schon richten. Mit Zack und Bumm und Peng so wie bei den Heizkosten im letzten Winter, als auf einmal nicht mehr wir sondern der Staat die Mehrkosten bezahlte und wir mit einem rotgelbgrünen Auge davon gekommen sind. 
Doch mit Rassismus funktioniert das nicht. Hier müssen wir selber ran. Müssen zwar nicht baden in dem und dem Gewässer, müssen uns aber unsern Mund reinigen, damit wir selbst nicht mehr mit unsern Worten dem Rassismus in den Salon reden und unsere Münder frei werden, ganz laut und deutlich gegen Nazis anzuschreien. Wir müssen wie der Mann einst zum Gewässer uns aufmachen und in der Menge baden, die mit großen Plakaten gegen die afd und den Faschismus und das ganze Nazipack anredet.
Am Dienstag hat das gut geklappt. Da waren 30.000 Leute auf den Straßen und zeigten Flagge und Plakate und setzten ein Signal in Richtung afd und wohl auch richtung cdu und zack, bumm, peng sorgten diese Zehntausende für das Zeichen, das man doch wie Naaman eigentlich eher effektvoll von oben erwartet hätte. Und machten, was nur eine Menge kann: Ganz bunt und vielstimmig und mit dem Charisma von Myriaden ganz deutlich sagen: Rassismus, du hast keine Chance. 
Ob das die Menschen heilt? Werden jetzt auf einmal keine Menschen mehr der afd das Kreuz antragen und sagen: Ab jetzt wähle ich lieber wieder links? Wohl kaum. Die Hartgesottenen, die werden eher denken: Das linke Pack macht uns doch unseren liebgewonnen Rassismus nicht kaputt. Die Hartgesottenen, die Nazis, werden sich aneinanderschmiegen, sich gegenseitig im wohligen Gefühl eines braunsumpfigen Nazifangos aalen.
Mir geht es um die anderen. Um all die Menschen, die im Herzen eigentlich keine Nazis sind. Die eigentlich nicht hart wie Stein auf ihren Nächsten blicken und sagen: Weg mit dem. Die eigentlich nur überfordert sind von dem, was ihnen das Leben heute bietet. 
Vielleicht gelingt es ja durchs Lautwerden der Mitte, durchs Aufstehen gegen die Gestrigkeit, durch Nazirausrufe und geschwisterliches Miteinander diese Menschen zu erreichen, die eben nicht rassistisch sind und in der afd lediglich die falsche Alternative sehen. Die denken, vielleicht wenigstens die. Und wenn sie dann die Hunderttausenden in Deutschland auf die Straßen gehen sehen, dann werden sie vielleicht merken: Das mit den Deportationen, was die afd mit ihren Freund:innen da plant, das bin ich nicht. Und wenn so viele Menschen sich dagegen wehren, dann ist da vielleicht wirklich was dran an dieser Kritik. Ja, vielleicht ist das ne Möglichkeit, den Aussatz durch ein Bad in der Menge in den Griff zu kriegen und all diejenigen zu heilen, bei denen sich der Rassismus noch nicht tief ins Hirn gefressen hat.

Gestern bin ich in der ARD auf eine Doku gestoßen über Menschen, die ausgestiegen sind aus der afd. Und wurde hellhörig als einer sagte: Die Menschen in der afd sind zunehmend isoliert und können da nicht aussteigen, weil sie – obwohl viele mit den Inhalten tatsächlich fremdeln – weil sie dann einsam wären und niemanden mehr hätten, weil alle anderen sich abgewendet hätten mit angewidertem Blick und kolossalem Unverständnis  für das Anbendeln mit der Nazibande. Der Mensch in dieser Doku sagte, dass man mit Argumenten niemanden von denen würde erreichen können. Er sagte aber auch: Mit Emotionen geht es. Mit dem Gefühl, dass sie jemand sieht und ihnen eine Hand reicht.
Vielleicht sind diese Demonstrationen ja auch ein Handreichen in Richtung dieser Menschen. Die Hand, die ihnen sagt: Kommt doch zu uns. Seid keine Nazis. Lasst uns gemeinsam schauen, wie wir euch ernstnehmen und Dinge angehen können. Wie wir gemeinsam dieser Zeit so begegnen können, dass auch ihr mitkommt, nicht abgehängt werdet. 
Sie haben heute diese Chance. Hinzugehen. Mit Zehntausenden zu tun, was unsere Eltern und Großeltern nicht laut und meistens auch zu spät getan haben: Aufzustehen und den Anfängen zu wehren.

Vielleicht fragen sie: Warum denn ich? Ich fühl mich heute gar nicht so nach Demo. Da würd ich antworten: Weil der Prophet in unserm Text gesagt hat, das, wenn wir vom Aussatz, vom Rassismus, geheilt werden wollen, selbst tätig werden müssen wie Naaman. Ja, weil es unser Auftrag ist, wenn uns der Aussatz unerträglich wird – und ich hoffe sehr, dass das für Sie der Fall ist – hinzugehen und Heilung zu suchen in den Fluten der Menge, die laut wird.

Ja, und dann wirkt Gott.
Denn natürlich ist der Prophet kein Arzt der modernen Schule, der einfach eine Salbe hat. Unser Prophet, der setzt auf die heilende Kraft Gottes, der dort in den Fluten die Nöte seines Kindes hört. Denn wo die Tausenden laut gegen Nazis auf die Straße gehen, da wirkt Gott wie ein Verstärker, der Heilung wachsen lässt aus unserer Aktion. Weil das, was diese Menschen dort, je für sich uns alle zusammen, tun, genau das ist, was dieser Gott uns Christinnen und Christen auferlegt hat: Die Stimme zu erheben gegen Ungerechtigkeit. Die Fremdlinge in unserm Land zu schützen. Für Minderheiten einzustehen. Und unsere Nächsten lieben wie uns selbst. Denn wenn wir Menschen aus diesem Nazisumpf der afd und ihrer Schergen ziehen wollen, dann tun wir das, weil diese Menschen doch Gottes Geschöpfe sind und weil sie nicht verdienen, bei lebendigem Leibe vom Hass zerfressen zu werden. Es ist ein Akt der Nächstenliebe nicht nur an den Minderheiten sondern auch an dieser braunen Masse, die Hand zu reichen, damit sich einzelne aus diesem Sumpf herausziehen können.
Ja, Gott bringt Heilung, wo wir selbst sie suchen.
Gott verstärkt, was wir ihm antragen.
Und Gott hilft, wo wir im Sinne Jesu als Menschen auf die Straßen gehen.
Drum gehen Sie heute demonstrieren. 
Direkt im Anschluss an den Gottesdienst. Und wenn Sie denken: „Moment, da ist doch Mittagessenszeit“, dann kaufen Sie sich was in der Stadt und heben Sie die Quittung auf, ich lade Sie ein. Und das meine ich ernst, wenn das der Preis dafür ist, dass Sie dort heute auf die Straße gehen.
Freilich ist das dann nur der erste Schritt. Der Mann aus unserm Text, als er dann rein war, machte sich auf und predigte in seinem Land fortan von Gott und seiner Liebe, seiner Kraft und Stärke. So wollen auch wir nach der Demo, wenn wir ein sichtbares Zeichen gegen den Aussatz, gegen den Rassismus in die Welt getragen haben, weiter aktiv sein.
Wollen reden von den Problemen, die die Menschen treiben. Und wollen gemeinsam nach Lösungen suchen. Denn die Probleme sind doch lösbar hier in diesem Land. Die Moderne, die viele abhängt, bietet doch auch Möglichkeiten. Ich denke nur an Tesla und die Chipfabrik in Magdeburg, an Möglichkeiten in strukturschwachen Regionen wieder für Aufwind und für Hoffnung zu sorgen. Ich denke an Umverteilung hier in diesem Land, damit nicht einige viel reicher werden sondern alle etwas. Ich denk an Bildung, die verbessert werden muss. All das sind Aufgaben. All das sind Nährgüter des Aussatzes, wenn sie nicht angegangen und geheilt werden – und all das wird geschehen, wenn viele laut werden, den Mund aufmachen und die Probleme, die zur Krankheit führen, angehen.

Sind Sie dabei? Den Aussatz anzugehen und dafür zu sorgen, dass Nazis nicht das letzte Wort haben. Dass Identitäre und afd-Schwurbler nicht Deutungshoheiten für sich reklamieren. Sie können dazu beitragen, dass Liebe und Vernunft den Rechten ihr Wässerchen abgraben. Wär das nicht ein Traum? Ist’s das nicht wert?
Dann gehen Sie heute hin.
Amen

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